Interview mit Dr. Fred Travis
Dr. Fred Travis ist Direktor des Centers für Gehirn-, Bewusstseins- und Kognitionsforschung an der Maharishi University of Management in Fairfield, Iowa, wo 1’000 Studenten, Professoren und Mitarbeiter die Technik der Transzendentalen Meditation (TM) ausüben.
Er ist in der beneidenswerten Position, von Hunderten von potentiellen „Versuchspersonen“ oder Probanden umgeben zu sein, die ihm für seine Forschungen über die gesamte Reichweite des menschlichen Gehirnpotentials zur Verfügung stehen.
Die Forschungsresultate von Dr. Travis wurden in führenden, peer-revieweden Fachzeitschriften veröffentlicht, wie Biological Psychology, Psychophysiology, Consciousness and Cognition, the International Journal of Psychophysiology. Auf zahlreichen neurowissenschaftlichen Tagungen hat Dr. Travis seine Erkenntnisse über die gehirnphysiologischen Grundlagen höherer Bewusstseinszustände präsentiert und zieht regelmässig an Universitäten grosse Zuhörerschaften an, wenn er über Meditation und die Veränderung der Gehirnfunktionen spricht.
“Bildung sollte eine integrierte Gehirnfunktion entwickeln, so dass man bessere Entscheidungen fällt, Situationen angemessener einschätzt und – last, not least – sein Leben während der gesamten Lebenszeit mehr geniesst.” — Dr. Fred Travis, Gehirnforscher
„In den ersten 20 Lebensjahren nehmen die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen einerseits zu und auch wieder ab. Das Ergebnis ist die Reifung des Gehirns, während derer die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung zunimmt. Deshalb ist das Jugendalter eine ideale Zeit, die Schaltkreise im Gehirn aufzubauen, die dann ein Leben lang andauern.“ — Dr. Fred Travis
Dr. Travis, Sie beschäftigen sich mit der Entwicklung des vollen Gehirnpotential. Was haben Sie bei Ihren Forschungen entdeckt?
Ihr Gehirn kam nicht schon bei der Geburt voll bestückt auf die Welt. Durch die natürlichen Vorgänge der Reifung und wachsender Erfahrung wird Ihr Gehirn in jedem Moment immer wieder neu strukturiert, um alle Ihre Gedanken, Entscheidungen und Handlungen optimal zu unterstützen. Dieser ständig fortlaufende Prozess der Erschaffung und Neu-Erschaffung Ihres Gehirns ist ein dynamischer Prozess. Schlüssel-Erfahrungen beeinflussen ganz entscheidend, ob sich Ihr Gehirn gesund entwickelt oder auch nicht. Der Erziehung und Bildung kommt daher in jedem Lebensalter eine zentrale Rolle zu.
Sie haben davon gesprochen, dass die Transzendentale Meditation “integrierte Gehirnfunktionen” entwickelt. Was bedeutet das – und warum ist es wichtig?
Es gibt verschiedene Bereiche im Gehirn für das Sehen, Hören, Denken, Fühlen, für Zorn und Freude, zum Planen, Entscheiden und Handeln. Wenn Ihr Gehirn gesund ist, arbeiten alle diese Bereiche zusammen – sie sind „integriert“. Integration ist deshalb so wichtig, weil sich Ihre Welt, Ihre Umgebung ständig verändert. Sie brauchen daher ein gesundes, integriertes Gehirn, das auswerten kann, wo Sie gerade stehen, entscheiden kann, wo es lang gehen soll und dann die Schritte festlegen kann, wie Sie dahin kommen.
Ist das gesamte Gehirn an solchen Entscheidungsprozessen beteiligt?
Die Bereiche des Gehirns, die besonders zentral für die Auswertung jeglicher Information sind, sind die vorderen Lappen oder auch die Assoziationszentren der Hirnrinde. Dieser Teil des Gehirns erhält seine Informationen jedoch nicht direkt von aussen – er fügt vielmehr das zusammen, was über die Sinne wie Hören, Sehen und Tasten hereingekommen ist. Die Vorderlappen der Hirnrinde sind also so etwas wie der Dirigent, der die verschiedenen Instrumentengruppen des Orchesters nimmt und ihre Darbietungen alle zu einem ganzheitlichen Orchesterstück zusammenfügt.
Zur Zeit wird enorm viel über Stress und seine Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen gesprochen. Was passiert im Gehirn während einer stressvollen Erfahrung?
Stresserfahrungen behindern die Vorderlappen in ihrer Entwicklung, sie blockieren sie. Mit Stress meine ich jetzt zum Beispiel, wenn man dem Einfluss von Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch, einer gestörten Familie, Gewalt und Kriminalität und anderen negativen Lebensumständen ausgesetzt ist. Auch mangelhafte und schlechte Ernährung kann auf die Dauer zum Stressfaktor werden. Wenn die Vorderlappen der Gehirnrinde sich nicht entwickeln, verkommt das Leben zur Primitivität. Die Person kann dann nicht vorausplanen und tut es auch nicht. DieWelt reduziert sich auf das Elementarste und die Person befasst sich nur mit dem, was aktuell geschieht, mehr nicht. Das Denken ist dann recht starr: „Entweder bist Du auf meiner Seite oder Du bist mein Feind” oder “Meine Kumpel und ich sind okay, die anderen sind gegen uns.”
Sagen Sie uns etwas zur Entwicklung des vollen Gehirnpotenzials eines Kindes.
Nehmen Sie zum Beispiel Alkohol. Trinken zerstört Gehirnzellen und durchtrennt die Verbindung zu den vorderen Gehirnbereichen. Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gehirnarealen und den Vorderlappen beginnen sich jedoch erst vom 12. bis 13. Lebensjahr an zu entwickeln und diese Entwicklung ist erst mit dem 20. oder 30. Lebensjahr abgeschlossen. Wenn also ein Kind oder Jugendlicher schon in der Schulzeit zu trinken beginnt, tut diese Person ihrem Gehirn das Schlimmste an, was sie tun kann – und damit ihrem ganzen Leben!
Kann man die Zerstörung im Gehirn tatsächlich sehen?
Ja, absolut! Die vorderen Gehirnlappen sind nicht aktiviert bei Personen, die gewalttätig sind, die impulsiv sind und ihre eigenen Handlungen nicht kontrollieren können. In der Regel findet man bei diesen Individuen auch eine sehr vereinfachte Sicht der Welt – schwarzweiss. Das ist einfach so der Stil: „Ich sehe eine Schokolade, ich nehme sie mir. Da ist ein Auto, ich nehme es mir. Der Kerl da hat mich dumm angeguckt, also schlag ich ihn.“
Kann das Gehirn sich verändern?
Glücklicherweise, ja! Das Gehirn verändert sich eigentlich ständig während aller Lebenserfahrungen, die Sie machen. Egal, durch welche Erfahrungen man in der Vergangenheit gelaufen ist, auch wenn vielleicht ganze Schaltkreise lahmgelegt wurden, mit neuen positiven Erfahrungen verändert sich das Gehirn und oftmals können sich auch erheblichen Schäden wieder langsam wieder zurückbilden.
Erfahrungen wie etwa…?
Wie etwa die Transzendentale Meditation. Forschungen haben gezeigt, dass die TM-Technik eine ganz besondere Erfahrung der stillen Basis des aktiven Geistes vermittelt. Dies ist ein Zustand innerer Wachheit ohne besondere Qualitäten und Eigenschaften. Die wissenschaftlichen Studien zeigen, dass eben diese Erfahrung tatsächlich eine integrierte Funktionsweise in den Vorderlappen des Gehirns erzeugt. Man kann wirklich sagen, dass die TM-Technik hier einen einzigartigen Raum einnimmt, dass sie diesen so zentralen Gehirnbereich kultiviert und trainiert. Sie macht das Gehirn gesünder und versetzt es in die Lage, als Ganzes zu arbeiten.
Gibt es dafür Belege?
Nach bereits zwei bis drei Monaten der TM-Praxis zeigen sich schon hohe Grade an Integration in den Verbindungen der vorderen Gehirnrinde. Und interessanterweise geht diese Integration nach der TM-Ausübung nicht weg – im Gegenteil. Nach und nach zeigt sich ein Trend, dass die höchst geordneten Gehirnfunktionen auch in die tägliche Aktivität übernommen werden. Die Forschung zeigt, dass bei Personen, die schon viele Jahre meditieren – im Durchschnitt 24 Jahre – die innere Wachheit und Integration des Gehirns immer aufrechterhalten bleibt, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Ich bin der Meinung, dass es der eigentliche Zweck der Schule und Ausbildung sein. Bildung sollte nicht allein das Einmaleins oder die Periodentafeln zu unterrichten, sondern vor allem auch direkt eine integrierte Gehirnfunktion zu fördern, so dass das Individuum besser in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen, Situationen angemessener und umfassender auszuwerten und überhaupt das Leben mehr zu geniessen.
Sie sagen, es ist wichtig, diesen Prozess der Entwicklung einer integrierten Gehirnfunktion durch Meditation schon in den Schul- und Ausbildungsjahren zu beginnen. Warum?
In den ersten 20 Lebensjahren nehmen die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen ständig zu und auch wieder ab, weil schwache Synapsenverbindungen auch wieder – in gewisser Weise – „ausgejätet“ werden. Man nennt dies auch „Pruning“. Das Ergebnis ist die Reifung, in der es zu einer beschleunigten Informationsverarbeitung kommt. Deshalb ist diese Zeit der ersten 20 Lebensjahre eine ideale Zeit, die Schaltkreise im Gehirn aufzubauen, die dann ein Leben lang andauern. Wenn dann die Studenten mit 25 Jahren ihren Master oder sogar Doktor gemacht haben, sind sie nicht nur Meister in einem begrenzten Lebensbereich, sondern wirkliche Meister des Lebens. Ihr Denken wird spontan von der tiefsten, grundlegendsten Ebene des Lebens aufsteigen und somit umfassend und lebensförderlich sein. Auch ihre Handlungen werden dann automatisch richtig sein – im Einklang mit den Naturgesetzen, der Umgebung und den Menschen um sie herum. Das wird unter dem Begriff Erleuchtung verstanden. Dies ist die Vision der Möglichkeiten, die jedem Schüler oder Studenten offen steht, unabhängig von Alter, Religion oder Nationalität, wenn das Programm der Transzendentalen Meditation als Teil des Lehrplans integriert wird.